Samstag, 7. August 2010

Gedanken zu meinem Türkeibesuch

Die Türkei und Europa verbindet eine gemeinsame Geschichte, die beide Kulturen verbindet. Dies habe ich auch bei meinem Besuch in der zurückliegenden Woche in der Provinz Canakkale sehr deutlich sehen können. Europa hat die Türkei beeinflusst, und umgekehrt. Vor allem Migranten und Touristen trugen und tragen dazu bei, dass es mehr Wissen und Verständnis für die jeweils andere Seite gibt. Zum anderen ist aber auch die Erkenntnis gewachsen, dass es dauerhaften Frieden und Wohlstand nur geben kann, wo alle zusammenarbeiten, und das am besten unter dem Dach fester politischer Strukturen. Schon heute sind Europa und die Türkei z.B. erprobte Bündnispartner in der NATO.

Nun fehlt nur noch eins zur weiteren Integration: die Erkenntnis, dass auf gleicher Augenhöhe verhandelt wird. Nicht nur die Türkei, auch Europa wird von einer EU-Erweiterung profitieren, und das nicht zuletzt wirtschaftlich.

Die Türkei kommt nicht als Bittsteller zur Europäischen Union, sondern als Freund. Aber ein Beitritt wäre noch viel mehr als ein reines wirtschaftliches Geschäft. Er wäre auch ein Beweis dafür, dass die EU offen steht für dynamische, engagierte Länder, die sich den zentralen Werten und Idealen Europas verpflichtet fühlen.

Der Beitritt der Türkei zur Europäischen Union ist ein großer Gewinn für beide Seiten. Denn wenn wir von einem türkischen EU-Beitritt reden, dann meinen wir eine Türkei, die die erforderlichen EU-Reformen umgesetzt hat und politisch, wirtschaftlich und kulturell auf Augenhöhe mit den anderen Mitgliedstaaten der Union ist. Dieser Beitritt erfolgt auch nicht morgen, sondern wenn es soweit ist. Er wird geordnet verlaufen, wie alle vorherigen Beitritte, mit Übergangsregeln insbesondere beim Personenverkehr.

Istanbul ist europäische Kulturhauptstadt 2010 und dies nicht ohne Grund: In der Türkei stand einst die Wiege der europäischen Kultur.

Die EU ist ein Friedensprojekt, das weltweit seinesgleichen sucht. Nach der Versöhnung zwischen Deutschland, Frankreich und anderen ehemaligen Kriegsgegnern wurde die EU immer wieder erweitert, oft um Staaten, deren schwierige, autoritäre Vergangenheit gerade erst geendet hatte (wie Spanien oder Griechenland). Mit der Erweiterung nach Osten um die ehemaligen Warschauer Vertragsstaaten gelang unlängst ein weiterer, ungeheurer Brückenschlag. Selbst die Integration der jüngsten Kriegsschauplätze am Balkan ist bereits angelaufen und setzt diese Erfolgsgeschichte fort. Es ist eine Geschichte des Aufeinanderzugehens und der Versöhnung in Vielfalt.

Die Türkei ist ein Brückenstaat, der zwischen Orient und Okzident verbindet. Sie ist ein muslimisches und zugleich pluralistisches Land. Sie erfüllt eine VVorbildfunktion für den Mittleren Osten und kann andere Länder durch ihr demokratisches und rechtsstaatliches System positiv beeinflussen. Sie ist der Beweis dafür, dass Demokratie und Islam sich miteinander verbinden lassen. Wenn wir die Türkei in die EU aufnehmen, dann zeigen wir Europäer der Welt, dass wir die Erfolgsgeschichte weiterschreiben wollen, und dass unsere europäischen Werte über jeglicher Diskriminierung stehen. Wir sind reich durch unsere Vielfalt und kein "elitärer Christenklub".

Europa kann sich von veralteten Weltansichten und Vorurteilen gegenüber dem Islam lösen und sich weiterentwickeln, wie es bisher stets gelungen ist.

Der Kampf der Kulturen ist eine Schwarzmalerei von Chaosmachern und muss überwunden werden. Die Verwendung des Türkeibeitritts als Wahlkampfthema ist unverantwortlich, weil sie Misstrauen in der öffentlichen Meinung beider Verhandlungspartner fördert.

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